Familiendrama: Mann tot, Kinder in Pflegefamilie.

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Als junger Notarzt war es für mich das erste Mal, dass ein Mensch gewaltsam zu Tode gekommen war. Doch waren wir Rettungskräfte geradezu naiv in die Situation gestolpert. Deren Tragweite des Familiendramas erschloss sich uns jedoch erst im Nachgang.

„Der Patient ist bewusstlos geworden.“

„Schnittverletzung“ lautete die erste Einsatzmeldung. Dies jedoch schien uns von der Notarztwagenbesatzung nicht weiter dramatisch. Die Frage war nur: warum nur bedurfte es bei einer einfachen Schnittverletzung überhaupt eines Notarztes? Noch während der Anfahrt wurde uns von der Rettungsleitstelle mitgeteilt, dass der Patient bewusstlos geworden sei.

Die Wohnungstür wurde jäh aufgerissen. „Traumatische Reanimation,“ rief uns die Besatzung des vor uns eingetroffenen Rettungswagens zu. Hinter der Wohnungstür folgte ein Gang. Ein Mann lag am Boden, sichtbar waren zunächst nur dessen Beine. Er lag in der nach links abgehenden Küchentüre. Der restliche Körper war zunächst verdeckt.

Literweise Blut war ausgetreten.

Wir eilten in die Wohnung. Dann erschloss sich das Verletzungsausmaß: linksseitig am Brustkorb war eine etwa 3 cm lange Stichwunde. Literweise war hier Blut ausgetreten und hatte sich über Wand und Fußboden ergossen.

Die Ehefrau des Patienten stand im Gang. Sie hatte ein Kleinkind am Arm. Und ein Mädchen im Grundschulalter hielt den Oberschenkel seiner Mutter fest umschlungen. Angst und Sorge standen dem größeren Kind ins Gesicht geschrieben. Das kleine Kind überblickte die Situation noch nicht. „Er wollte mit einem Messer die Fernbedienung reparieren,“ die Frau fuchtelte mit Gerät umher. „Dabei ist er gestürzt.“

Wir kämpften um das Leben des Patienten. Dabei wurde er intubiert und beatmet. Aus dem Mund hatte sich zuvor Erbrochenes ergossen. Über mehrere venöse Katheter verabreichten wir großzügig Infusionen.

Am EKG beobachteten wir die schwindende Herzaktivität.

Dabei kniete ich mich auf ein scharfes Küchenmesser. Ein Sanitäter griff danach. „Bringen Sie es weg, damit sich von uns hier niemand verletzt“, er gab das Messer der Ehefrau. „Und gehen Sie ins Wohnzimmer. Das hier ist nicht für Kinder geeignet“. Die Frau kam der Aufforderung nach und verschwand ins Wohnzimmer – zusammen mit ihren Kindern und dem Messer.

Unsere Bemühungen zur Rettung des Mannes waren erfolglos. Denn er hatte zuviel Blut verloren. Am EKG beobachteten wir die schwindende Herzaktivität.

Im Streit auf Ehemann eingestochen…

Erst im Nachgang erfuhren wir was sich offenbar zugetragen hatte: bei einem Ehestreit hatte die Frau auf ihren Mann eingestochen. Dabei hatte sie ihm tödliche Verletzungen zugefügt.

Hatten wir unbedacht der Frau nach dem Familiendrama das Tatmesser übergeben und sie zusammen mit ihren Kindern ins Wohnzimmer geschickt? Während wir um das Leben des Mannes kämpften hatten wir die Geschichte der Frau nicht in Frage gestellt. Abgelenkt und blauäugig waren wir in eine durchaus bedenkliche Situation geraten.

Ein Familiendrama, das eine ganze Familie auslöschte.

Letztlich wurde die Frau wegen Totschlags verurteilt. Der Mann war tot. Und die Kinder sollten fortan bei einer Pflegefamilie leben. Es hatte sich um ein Familiendrama gehandelt, das nicht nur ein Leben, sondern eine ganze Familie jäh auslöschte.

Stefan Hartl

Jahrgang 1979. 2 Kinder. Arzt seit 2006. Facharzt für Anästhesie, Notfallmedizin, Suchtmedizin, Reisemedizin. Freiberufliche Tätigkeit, u.a. als Leichenschauer, seit 2006. Interessen: Literatur, Reisen.

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