Bei Betreten der Wohnung treffe ich auf Frau Münzel. Es ist eine ältere Dame – freundlich zugewannt und sympathisch. „Dass mein Mann sterben würde, damit habe ich schon gerechnet“, sagt sie. „Er war krank die letzten Tage.“ Und er habe gefroren. Deshalb habe er sich auf den Fußboden neben den Heizkörper gelegt.
Seit Tagen nichts mehr gegessen und getrunken.
Jedoch Vorerkrankungen habe der Mann nicht gehabt. Allerdings habe der Mann zuletzt nichts mehr gegessen und getrunken seit Tagen. „Ich habe gemerkt, dass es dem Ende entgegen geht“, sagte Frau Münzel. Wenige Stunden zuvor habe sie sich noch mit ihrem Mann unterhalten.
Zur Leichenschau betrete ich das Wohnzimmer. Neben der Couch liegt ein älterer Herr auf dem Fußboden. Er ist nur teilweise bekleidet. Mit dem Kopf lehnt er am Heizkörper. Das Gesicht ist zeitlich weggekippt. Leere Spirituosenflaschen liegen im Umfeld.
Der Bauch färbt sich grün.
Sofort fällt mir auf, dass der teils unbedeckte Bauch sich bereits grün verfärbt. Und die Finger beginnen einzutrocknen.
Vor wenigen Stunden soll der Mann noch gelebt haben? Das Zimmer ist nicht überwärmt. Und der nahe Heizkörper ist sogar ausgeschaltet. Doch bei der Leichenschau schert sich fäulnisbedingt bereits die Haut ab.
Mein Neffe kann es bezeugen.
Nochmals spreche ich mit der Frau. „Ganz sicher hat mein Mann vor 4 Stunden noch gelebt. Mein Neffe kann es bezeugen. Er war heute zu Besuch. Rufen Sie ihn an, wenn sie mir nicht glauben“, entgegnete Frau Mützel.
Dem wollte ich auf den Grund gehen. Der Neffe bestätigte, dass er zu Besuch gewesen sei. Doch er habe seinen Onkel nicht gesehen. Seine Tante habe ihm gesagt, er schlafe. Ein tatsächlicher Kontakt zum Neffen habe vor zwei Wochen bestanden.
Schlussendlich ergab sich folgendes Bild: Frau Münzel wähnte ihren Mann geschwächt vor dem Heizkörper. Sie bot ihm wiederholt Speisen und Getränke an. Ihr Mann reagierte nicht. Deshalb dachte Frau Münzel, er würde schlafen. Sie sorgte sich, dass er verhungern und verdursten könnte. Deshalb verständigte sie letztlich den Rettungsdienst.
In Wirklichkeit war Herr Münzel bereits lange tot. Und vermutlich die ganze Zeit schon. Offenbar hatte seine Frau die Situation völlig falsch eingeschätzt.
Wie konnte das sein? Bei der groben Untersuchung wirkte Frau Münzel völlig geordnet. Sie wirkte orientiert und gepflegt. Wie konnte die alte Dame die Situation geschätzt eine Woche lang so verkennen?