Frau Gisela Meister (*) öffnet die Tür. Sie blickt mir tief in die Augen. Ich kenne diese Frau! Und sie erkennt mich. Ungewöhnliche Vertrautheit stellt sich ein. „Kommen Sie herein – heute sind Sie hier richtig. Es geht um meinen Mann,“ sagt sie. Frau Meister streicht mir über den Rücken.
Nur wenige Wochen zuvor hatte ich bereits bei Frau Meister geklingelt. Dabei war ich zu ihrer Nachbarin gerufen worden. Sie alle lebten in einem Reihenhaus. Die Untereinheiten waren mit den Buchstaben 90A bis 90F gekennzeichnet. Beim Buchstaben hatte ich mich wohl verhört.
Damals schon hatte Frau Meister die Tür geöffnet. Also stellte ich mich vor. Und sie reagierte geschockt. Den Leichenschauer hat man nicht gern im Haus! Schnell erkannte ich meinen Irrtum, entschuldigte und verabschiedete mich.
München ist eine Millionenmetropole. Es gibt über 800.000 Haushalte. Dennoch: als ich zum zweiten mal in die Hofeinfahrt des Anwesens fuhr, kam mir plötzlich alles sehr bekannt vor. Hier war ich doch schon!? Als ich die schmale Treppe zur Haustür emporstieg kam die Erinnerung zurück. Ich hoffte, dass ich mich nicht wieder geirrt hatte.
Diesmal hatte ich mich aber nicht geirrt. Frau Meister geht vor und ich folge ihr zum Sterbebett ihres Manns. Er war schwer herzkrank gewesen und erklärbar verstorben. Trotzdem verbindet Frau Meister und mich eine gemeinsame Erinnerung. „Ich habe schon vermutet, dass wir uns heute wiedersehen.“ Es war, als habe der Tod erst kürzlich angeläutet, Frau Meister ließ ihn aber erst heute herein.
In einem anderem Fall rief mich die Pflegerin zu einem älteren Ehepaar. Beide waren schwer krank. Es war die Frau verstorben. Also setzte ich mich zum Ehemann, der seinen schweren Verlust betrauerte. Aber nur drei Wochen später fuhr ich zur selben Adresse: nun war auch der Mann gestorben. Ich erinnerte mich noch gut an unser Gespräch.
(*) Namen geändert.