2 Wohnungsöffnungen, 3 Totenscheine – 1 Verstorbener

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Herr Lankes war fortgeschrittenen Alters. Er war wegen geistigen Abbaus nicht mehr voll geschäftsfähig. Er hatte keine unmittelbaren Verwandten mehr. Deshalb wurde ihm ein gesetzlicher Betreuer zugeteilt. Und dabei handelte es sich um einen Berufsbetreuer.

Eines Abends forderte dieser Betreuer einen Arzt zur Leichenschau an. Herr Lankes sei verstorben. Der Betreuer konnte aber keine Angaben über die Umstände des Todes machen. Er wusste weder, wann Herr Lankes verstorben sei. Noch wusste er von Vorerkrankungen. Er konnte lediglich angeben, dass Herr Lankes seit einer Woche „komisch geröchelt“ habe. Und, dass ein Pflegedienst ab und zu nach dem Patienten sehe. Selbst sei der Betreuer nie vor Ort gewesen. Die Angaben des Betreuers waren wenig eindeutig. Deshalb alarmierte man den Rettungsdienst.

Ein Rosenkranz umschlang seine gefalteten Hände.

Bei Eintreffen des Rettungsdienstes wurde die Tür nicht geöffnet. Daher verschaffte sich die ebenfalls alarmierte Feuerwehr Zutritt. Der Notarzt fand Herrn Lankes tot vor. Er lag aufgebahrt in seinem Pflegebett. Ein Rosenkranz umschlang seine gefalteten Hände. Herr Lankes war womöglich bereits seit Stunden tot.

Der Notarzt hatte ansonsten keinerlei Hintergrundinformationen. Daher beschränkte dieser sich auf die Ausstellung einer „vorläufigen Todesbescheinigung“.

Nach kurzer Rücksprache mit Pflegedienst und Betreuer beendeten Feuerwehr und Rettungsdienst den Einsatz. Sie zogen die Tür hinter sich zu.

Den ganzen weiteren Abend über waren dann weder der Pflegedienst, noch der Betreuer telefonisch erreichbar. Diese hätten nämlich einen Schlüssel zur Wohnung gehabt. Angehörige gab es nicht. Somit sind die Behörden in der Verantwortung, sich um den Toten zu kümmern.

Nachts dann die zweite Wohnungsöffnung.

Im Laufe der Nacht folgte dann die zweite Wohnungsöffnung. Dabei fiel auf, dass offenbar zwischenzeitlich eine weitere Ärztin in der Wohnung gewesen war. Und auch sie hatte sich aufgrund fehlender Hintergrundinformationen auf eine „vorläufige Todesbescheinigung“ beschränkt. Somit lagen überraschenderweise zwei solche Bescheinigungen vor.

Es blieb völlig unklar, wie diese Ärztin in die Wohnung gelangt war. Denn auch sie war telefonisch nicht mehr zu erreichen.

Dritte und letzte Todesbescheinigung.

Nun sollte ich die Leichenschau durchführen. Doch es gab keinerlei medizinische Dokumentation. Keinerlei Arztbriefe. Auch die obligatorische Pflegemappe fehlte. Diese hatte der Pflegedienst wohl zwischenzeitlich mitgenommen. Lediglich Blutdruckmittel und Cholesterinsenker lagen auf dem Tisch. Dann gab es noch ein Asthmaspray und eine halbvolle Flasche mit Astronautenkost.

Ich stellte eine „endgültige Todesbescheinigung“ aus. Weitere Wohnungsöffnungen und Todesbescheinigungen folgten nicht.

Stefan Hartl

Jahrgang 1979. 2 Kinder. Arzt seit 2006. Facharzt für Anästhesie, Notfallmedizin, Suchtmedizin, Reisemedizin. Freiberufliche Tätigkeit, u.a. als Leichenschauer, seit 2006. Interessen: Literatur, Reisen.

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